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Gedicht des Monats

September 24 von Andrea Balnat-Schmude



Im Rahmen des Theater-Spaziergangs „Jedamo" findet an der Ruine des Uhrmacherhäusls in München-Giesing eine Versteigerung statt. Das Publikum bietet mit. Mit Gspusi-Musi.




München schillert

Gedichte aus dem Poesiebriefkasten von 111 PoetInnen; Euro 14,90; Taschenbuch; Erhältlich bei amazon, Smart+Nett oder Ihrem Buchhändler; Infos


Der Friedhof lebt

Über 30° Celsius – Grund genug, um in den schattigen Friedhof am Perlacher Forst zu flüchten. Doch ein Grüppchen von etwa 40 Menschen macht am Sonntag, den 21.7. 2024 hier einen poetischen Ausflug. Dazu eingeladen haben wir Poesieboten gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung.

Zwischen den Grabreihen hindurch wandern wir zum Ehrenhain für die Opfer des Nationalsozialismus. Hier ist der Weg zum Gedenkstein bewusst holprig gehalten. Weiter geht es zu den Gräbern der Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Wir halten jeweils kurz inne und erfahren von Thomas Fleckenstein, dem Friedhofsverwalter, Näheres zu den einzelnen Schicksalen. Ein besonderer Ort ist die Grabstätte der Geschwister Scholl. Hier lädt eine U-förmige Steinbank zum Sitzen auf Augenhöhe ein.

Dann geht es nach einem Schlenker zum Grab von Franz Beckenbauer zum Café „Himmelb(l)au“ – bis jetzt das einzige Friedhofs-Popup-Café in München, ein Projekt der evangelischen Kirche. Tipp: Das Café hat diesen Sommer auch an den Sonntagen im August geöffnet. Das freundliche Team empfängt uns mit leckerem Kuchen und kocht geduldig viele Kannen Kaffee.

Jetzt liest uns die Autorin Isis Marschall ein Stückchen aus ihrem Kinderbuch „Haben Omas schon mit den Dinosauriern gelebt?“ vor. Es lässt uns die Welt der Trauer und Beerdigungen sehr anschaulich mit den Augen eines Kindes sehen, das mit seiner mexikanischen Mama in Deutschland lebt. Die 6-jährige Alba feiert gern den Día de Muertos und liebt Skelette. Aber das Sterbenswörtchen, bei dem die Erwachsenen immer so gucken, als hätten sie in eine Zitrone gebissen, muss sie erst noch erforschen.

Der peruanische Dichter Oscar Colchado ist letztes Jahr gestorben, und seine Tochter, Patricia Colchado, hat ihm einen Tanz gewidmet, der uns im Anschluss in seinen Bann zieht. Vor der Kulisse der weitläufigen Wiese zieht sich Patricia erst auf Muschelgröße zusammen, dann erhebt sie sich, streift lässig die Tränen ab und lässt sich wie ein Vogel im Wind treiben. Ein getanztes Gedicht! Später trägt die Tänzerin auch ein unter die Haut gehendes Sprachgedicht mit dem Titel „Narben“ vor“.

Thomas Fleckenstein entfaltet nun seine poetische Seite und dabei Humor à la Willhelm Busch in seinem Gedicht vom riesigen Waldfriedhof mit dem mächtigen Verwalter, und natürlich kriegt er die Kurve zu „seinem“ Friedhof mit dem ganz besonderen Café Himmelblau.

So traurig, wenn der Sohn vor einem stirbt, aber der „Rudi im Himmel“ kommt in Richard Mareschs Gedicht tröstlicherweise wieder zurück – als Schutzengel.

Brigitte Obermaier, alias Zauberblume, schöpft aus ihrem unermesslichen Repertoire eine Mumie, die endlich ihre lästigen Mullbinden loswird.

Nach dem Tod des Opas wird einem kleinen Jungen klar, was er nun alles nicht mehr mit diesem machen kann, und eine 92-Jährige kann sagen: „Ich habe gelebt.“ Gertrud Lübke hat zwei Trauerperspektiven mitgebracht, die sie frei vorträgt.

Madalina Sora-Dragomirs Mann war ihr Held, ihr „Wer“ und ihr „Was“. Jetzt ist sein Grab das schönste Grab der Welt, es lässt im Frühling die Sonne rein und es spürt ihr Herz rasen. Poetische Trauer befreit – auch manchmal die Tränen!

Am Anfang und am Ende des Lebens liegen wir viel. Und am Ende – vielleicht – „darf ich dann hoch hinaus fliegen“. Das wünscht sich das lyrische Ich von Astrid Sherina Schaper.  

Pascal Hilgendorf hat sein Lebenslauf früh zum weisen Mann gemacht und er hat schon über 1000 Aphorismen zu allen Lebenslagen geschrieben. Doch „ob das Leben gut wird“, kann er ehrlicherweise nicht sagen.

Eine viel zu kurze Freundschaft mit einer Elektro-Ingenieurin ist das Thema in Katharina Otts Vortrag. Die eine nimmt der anderen die Angst vor der Handy-Strahlung, die andere öffnet ihr die Augen darüber, dass es mehr gibt als die messbare Welt.

Durch keine „fluchtreise“ entkommt man der Trauer. Sie „kennt keine grenzen, flattert über die spitzen der alpen, unermüdlich kreist sie im horizont des mittelmeersv...“ Kaouther Tabais Gedicht ist aufwühlend und trägt doch den lapidaren Titel, „bis auf weiteres“.

Einen unterhaltsamen Abgesang auf eine lebenslustige Dame, in deren Umfeld es teils nicht so leicht zu leben war, hält Chris Uray.

Kerstin Szanyi-Demuth kennt Trauer aus eigener Anschauung und als Trauerbegleitung. „Wenn ein Mensch geht“ heißt ihr Gedicht. „... eine klaffende Lücke, hineingerissen in seinen Lebenslauf und in meinenv...“

Bleibt meine eigene Angst, „mein letztes Gedicht“ zu vergeuden aus dem einfachen Grund, dass ich nicht weiß, welche meine letzten Zeilen sind.

Katharina

Zitate von Teilnehmenden

Das würdige Gedenken an den Gräbern der Mitglieder der Weißen Rose mit den berührenden Texten aus dem Tagebuch der Sophie Scholl und der Poesie-Spaziergang im Friedhof unter den wunderschönen alten Bäumen! Die anschließende Einkehr im Café Himmelblau mit den Lesungen lyrischer Texte war ein wunderbarer Abschluß. Kerstin Szanyi Demuth

Das war ein toller Mix, Poesieboten, Städtische Friedhöfe und Evangelische Kirche. Thomas Fleckenstein

Fotos: Chris Uray, Karlheinz Oesterle, Patricia Colchado