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Gedicht des Monats

September 24 von Andrea Balnat-Schmude



Im Rahmen des Theater-Spaziergangs „Jedamo" findet an der Ruine des Uhrmacherhäusls in München-Giesing eine Versteigerung statt. Das Publikum bietet mit. Mit Gspusi-Musi.




München schillert

Gedichte aus dem Poesiebriefkasten von 111 PoetInnen; Euro 14,90; Taschenbuch; Erhältlich bei amazon, Smart+Nett oder Ihrem Buchhändler; Infos


Nussbusserln, Faltenschatten und das Lob der Langsamkeit

Überbordende Mitmach-Poesie: Geschichten und Gedichte aus mehr als 1000 und einem Lebensjahr gaben sich ein Stelldichein mit gemeinsam gesungenen Weisen im ASZ Freimann. Wie Scheherazade bräucht’ ich Tausendundeine Nacht um alles zu berichten.

Der Abend begann mit einer Schweigeminute, eingeleitet von einem „Elflein“, einem Elf-Wörter-Poem von Brigitte Obermaier. Nichts musste erklärt werden.

ASZ-Leiterin Daniela Spießl hieß die gut 35 Besucher warmherzig willkommen. Dann eröffnete Maria Sperber den Poetenreigen mit einem Gedicht, das sich mit der vorweihnachtlichen Konsumwut auseinandersetzte. Brigitte Obermeier hatte Adventliches gedichtet und sich auch in Kalligrafie ausprobiert.

Dann belauschten wir ein nächtliches Gespräch der Tierparktiere – die meisten, wie auch der Löwe „Ausländer“, in Sorge um eine eventuelle Abschiebung. Danke, Kurt Wieser, für diesen humorvollen Appell an die Toleranz!

Die Zeit zu knapp und der Schuh zu groß und überhaupt gerät Madalina Sora-Dragomirs Leben aus den Fugen – und warum? „Weil ich dich liebe.“, – Das ist ihr Grund und ihr Refrain.
So gekonnt und gewitzt stellte Peter Hilz die „normale“ Anfang-Mitte-Schluss-Reihenfolge in Frage, dass spätestens nach diesem Gedicht die Zuhörer vollends die Zeit vergaßen.
Mit zupfenden Fingerspitzengefühl streute Leonie Kaboth Lieder zum Mitsingen ein. Dabei war Altbekanntes, oft lange nicht Gehörtes, wie die „Gedanken sind frei“. Romantisch, revolutionär und immer aktuell. Wie von selbst erklangen harmonische mehrstimmige Gesänge aus der Runde, so, als wärs lange einstudiert. Da stellte der heimliche Stargast des Abends, Zamperl Bobby, seine niedlichen Lauscher auf!
In der Pause stärkten sich die Besucher bei den leckeren - hmm diese Pumpernickel! - mit Liebe zubereiteten Häppchen, kredenzt mit kühlem Sekt von Rita Fahr und Heidi Hundt. Peter Hilz zeigte Interessierten seine, den Orientierungssinn foppenden, Zeichnungen.
Neon- und Performancekünstlerin Chris Bleicher sammelte nochmals 119 Brillen für ihr wohltätiges Werk ein und lud alle zu einem poetischen Besuch ihres Ateliers ein.
Sigrid Voss entdeckte im Weißenseepark sich immer neu formierende Bilder in den herbstlichen Baumwipfeln. 
Hauptsache gereimt - im quatschig-launigen Limerick von Anton Weigand folgt auf  „Träume von Zobel und Zaren“ ein kräftiger „Schluck vom Klaren“. Margreth  Emmrich brachte darauf ein sehr besinnliches und nachdenkliches Herbstgedicht zu Gehör.
Eva-Maria Birnhäupel-Hoppe berlinerte kokett und wollte in ihrem Alter (92 - das hat sie dem Fotografen Egbert Kraus verraten) „keene Beene“ mehr zeigen, wohl aber ihren „Po äh ihre Poesie“.
Elfie Hafner-Kosenberg hat manche Besucher einer Vernissage beobachtet, die dem Wein zusprachen, den dargestellten Strichen und Kreisen aber den Sinn absprachen. Es war ihre eigene Vernissage gewesen und sie hat das Unverständnis mit ihrem Gedicht wundervoll aufgearbeitet. Mitreißend und mitfühlend stellte Elisabeth Thal den Lebenszyklus einer Erdhummelkönigin da.
Eine schier unglaubliche Fülle von Missgeschicken widerfuhr Marita Fischer-Reinspach beim Platzlbacken, die sie sprachgewaltig in ein anschauliches bairisches Gedicht einspeiste. Auch wenn die Nussbusserln aus dem Leim gerieten, so hoffen doch alle Zuhörer, dass die frustrierte Bäckerin nicht das Platzl-Backen und das Gedichtl-Machen aufgibt.
„Szenen einer Ehe“ verdichteten die Senningers in einem valentinesken Dialog über ein Portrait der Gattin. Sie: „Des kimmt weg. Da sigt ma ja die Foitn.“ - Er: „Naa, des san ja nur Schattn.“ Sie: „Schattn vo wos?“ Er: „Schattn vo ... von de Foitn.“
Richard Maresch begleitete die beiden auf seinem herrlichen Hackbrett. Es war sein erstes „Auswärtsspiel“ und er meisterte es mit Bravour. Dann trug er noch ein Gedicht vor, in dem er, vom heimischen Sofa aufgescheucht, einen staubsaugerbewehrten Kampf gegen die Milben aufnehmen sollte. Doch statt die Schädlinge zu vergrämen, solidarisierte er sich am Ende mit ihnen.
Einen kritisch-historischen Abriss über den Kürbis verlas Helga Wippich. Sogar in den Hungerjahren sei er verpönt gewesen und nun sei er als modisches Mus in aller Munde.
Kurz und sehr intensiv: Gefühle zwischen Holz und Glas zeigte Anna Schadhauser.
Am Ende nahm uns der Senninger Hans noch auf eine Fahrt mit der Bockerlbahn mit. Ganz im gemütlichen bayrischen Bluesrhytmus, unterbrochen von schrillen Pfiffen und diversen Pausen in diversen Bräustüberln.
Die vielfältige Poesie wird nicht im Herbstwind verfliegen, denn die Besucher haben ihre Gedichte in den im ASZ gastierenden Poesiebriefkasten geworfen, der an diesem Abend geleert wurde. Die Werke sind an Wäscheklammern baumelnd noch zwei Wochen zu sehen und werden dann zu einem lyrischen Schatzkastl verarbeitet.
„So schön wars!“, meinten Gertrud und Erna. Dann machten sie sich auf den weiten Heimweg nach Giesing. Dabei schwangen sie ihre Walking-Stecken als sportives Eingeständnis an ihr Alter. „Das nächste Mal kommen wir wieder.“, lachten sie und verschwanden in der Freimanner Nacht.

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Danke an das Team des ASZ Freimann für die wundervolle Kooperation, an Leonie Kaboth für ihre feinfühlige Musik, an Egbert Kraus für die treffsicheren Portraits, Chris Bleicher für die erfolgreiche Brillensammelaktion, an den BA 12 für die Unterstützung und vor allem Danke allen mitwirkenden Poetinnen und Poeten für die zauberhaften Stunden.
Katharina Schweissguth

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