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Gedicht des Monats

September 24 von Andrea Balnat-Schmude



Im Rahmen des Theater-Spaziergangs „Jedamo" findet an der Ruine des Uhrmacherhäusls in München-Giesing eine Versteigerung statt. Das Publikum bietet mit. Mit Gspusi-Musi.




München schillert

Gedichte aus dem Poesiebriefkasten von 111 PoetInnen; Euro 14,90; Taschenbuch; Erhältlich bei amazon, Smart+Nett oder Ihrem Buchhändler; Infos


„Aller Welts Poesie“ Kirche statt Grünspitz

Nach der lauschigen Open-Air-Lesung im Rahmen der „Sommerstraße“ im letzten Jahr drohte die „Aller Welts Poesie“ im Rahmen des Münchner Stiftungsfrühlings am Grünspitz in diesem Jahr buchstäblich ins Wasser zu fallen. Ausgerechnet für Donnerstag, den 7.7. von 18 bis 20 Uhr war Regen angesagt. Dank Pfarrer Micha Boerschmann konnte die Veranstaltung in letzter Minute in die Lutherkirche umziehen, was ihr ein unerwartet feierliches, ja sakrales Ambiente bescherte. Was als Notlösung gedacht war, erwies sich als großer Glücksfall, ist die Kirche mit ihrer Akustik doch fürs Lesen gemacht. Eröffnet wurde der Abend von Katharina Schweissguth, Mitgründerin und erste Vorsitzende des Vereins Poesieboten e.V., die die Gäste begrüßte und das Wort an Moderatorin und Übersetzerin Janine Malz übergab, die durch den Abend führte.

Als Ersten rief sie David Drevs auf die Bühne, Übersetzer, Dolmetscher und Dozent für Übersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche. Er hatte ein Gedicht des ukrainischen Dichters Juri Zaplin mitgebracht, der aus Charkiv stammt und auf Russisch schreibt. Außerdem trug er ein Gedicht von Serhij Zhadan vor – der aus Luhansk stammende und in Charkiv lebende Poet, Schriftsteller, politischer Redakteur und Rockmusiker wurde mehrfach ausgezeichnet und hat soeben den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewonnen. Das ursprünglich auf Ukrainisch verfasste Gedicht hatte Alexander Milstein – ein ukrainischer Schriftsteller, Übersetzer und Künstler, der seit Langem in München lebt – im Auftrag seines Freundes Serhij Zhadan aus dem Ukrainischen ins Russische übersetzt. Wie David Drevs anmerkte, bereite es ihm dennoch Unbehagen, die Werke beider ukrainischer Autoren nur auf Russisch vorlesen zu können, weshalb er im Anschluss den Song „Metro“ von Zhadans Ska-Band Sobaki vorspielte – in der Stille der Kirche ertönte auf Ukrainisch der folgende Refrain, der eindrücklich daran erinnerte, dass zeitgleich andernorts Menschen um ihr Leben bangen:

„Die wütenden und fröhlichen Kinder der Keller von Charkiw,
Kinder, die in den Tiefen der U-Bahn leben.

Die Welt, die all dies gesehen hat, ist ergraut und gealtert.
Aber Liebe ist Arbeit, und diese Arbeit müssen wir täglich verrichten.“

Als Nächstes kam Spomenka Krebs aus Kroatien nach vorn ans Mikro. In ihrem Heimatland hat sie einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften absolviert, der in Deutschland jedoch nicht anerkannt wurde, weshalb sie als Köchin in einer Betriebskantine arbeitete. Entsprechend findet sie für ihr Schaffen ein kulinarisches Bild: „Ich mische Poesie mit Prosa, experimentiere mit Gewürzen.“ Ihre Gedichte handeln u.a. von Metamorphose, Wirrwarr im Kopf und der Begegnung mit sich selbst.

Weiter ging es mit Max Bauer, seit sechs Jahren „leidenschaftlicher Freizeitkünstler“, wie er selbst sagt. Er malt, fertigt Drucke und schreibt lyrische Texte, auch in Fremdsprachen. Für die Lesung hatte er ein Gedicht auf Tschechisch samt deutscher Übersetzung mit dem Titel „Heimat“ mitgebracht, inspiriert von einer Reise in unser Nachbarland.

Danach war Ana Eideen Lopez an der Reihe, die aus dem Sauerland stammt und spanische Wurzeln hat. Sie wird vor allem von Reisen inspiriert, weshalb sie auf Spanisch und Deutsch einige Gedichte u.a. über den argentinischen Tango sowie ihre Übersetzungen von Gedichten einer argentinischen Dichterin vortrug.

Daraufhin stieg Jan Schönherr auf die literarische Kanzel und gab eine Kostprobe seiner Übersetzung der Gedichtbände „Katzen“ und „Liebe“ des legendären Autors Charles Bukowski. Wie der mehrfach preisgekrönte Übersetzer erklärte, habe Bukowski ein Herz für Streuner gehabt und ständig verwahrloste Katzen bei sich aufgenommen. Diesen widmete er dann auch Gedichte, die mit ihrer gewohnt schnoddrigen Bukowski-Manier für einige Erheiterung im Publikum sorgten.

Als Nächstes führte die literarische Weltreise mit Rosanna Spagnuolo nach Italien. Sie arbeitet als Italienisch-Dozentin für Sprachschulen, Firmen und die VHS und verfasst eigene Romane und Erzählungen auf Italienisch, die sie für ihre Schüler ins Deutsche übersetzt. Zudem malt und zeichnet sie und kreiert Schmuck. „Ich dichte, um mir die Traurigkeit und Wut aus der Seele zu schreiben“, sagt sie über sich. Humor zeigte sie dennoch mit der poetischen Beschreibung ihrer besten Freundin. Verschmitzt verriet sie erst am Ende, dass diese ein Mann ist.

Der nächste Gast auf der Bühne, Hamid Abed Hamid, kommt aus dem Irak, genauer aus Bagdad, aus dem Stadtteil Al Sadr City. 4000 Jahre irakischer Kultur trage er in sich, erzählte er, weshalb es ihm fast unmöglich sei, in nur fünfzehn Minuten alles zu sagen, was ihn bewegt. Auf Arabisch und Deutsch trug er dann seine Gedichte, Geschichten, Gedanken vor. Darin berichtete er von reichen Frauen, die unerreichbar scheinen, beschwor den wohligen Klang des Wortes „Orange“ im Deutschen und stellte das Gedicht „Sie war es“ vor, zu dem er das passende T-Shirt trug.

Der vorletzte Beitrag stammte von Lothar Thiel, der vierzig Jahre lang als Gymnasiallehrer tätig gewesen war, unter anderem in Toulouse und Bilbao, was erklärt, wieso er gleich in mehreren Sprachen schreibt, nicht nur Lyrik, sondern auch Prosa. „Seit 2017 schreibe ich an einem dystopischen Roman, der im Jahr 2028 spielt. Ich muss mich beeilen, dass er vorher fertig wird“, verriet er dem Publikum und erntete Lacher. An diesem Abend stellte er einen Dialog vor, den er auf Deutsch verfasst und ins Französische, Italienische und Spanische übersetzt hatte.

Zu guter Letzt war Chris Uray von Radio Lora dran und trug einen auf Englisch selbst verfassten Text samt deutscher Übersetzung vor, der das All ergründete und somit gewissermaßen daran erinnerte, dass wir bei allen sprachlichen und kulturellen Unterschieden letztlich doch alle Erdenbürger:innen sind, die dieselben Erfahrungen, Empfindungen, Erwartungen teilen. Ein passender Abschluss für den Abend, der die große Vielfalt Giesings, Münchens, ja der Welt abbildete.

Der Abend fand im Rahmen des Münchner Stiftungsfrühling statt. Unser Dank gilt allen Vortragenden sowie dem Bezirksausschuss 17 (Obergiesing-Fasangarten) der LH München, der diese Veranstaltung freundlicherweise förderte.

© Janine Malz